Den Worten jetzt Taten folgen lassen – das schrieben BUND und Nabu, die größten Umweltverbände im Land, Ministerpräsident Winfried Kretschmann in den Terminplan. Während der Naturschutztage in Radolfzell forderten die Landesvorsitzenden von BUND und NABU, Dr. Brigitte Dahlbender (s. Foto) und Dr. Andre Baumann, Baden-Württemberg müsse seine Vorreiterrolle in der Umweltpolitik annehmen: „Die Umweltschutz-Strategie darf kein Katalog frommer Wünsche bleiben“.
Erstmals waren über 1000 Besucher beim größten Naturschützertreffen im deutschen Sprachraum, den am vergangenen Sonntag zu Ende gegangenen Naturschutztagen in Radolfzell. Publikumsmagnet war die Diskussionsveranstaltung von Andre Baumann und Brigitte Dahlbender mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann – rund 940 Besucherinnen und Besucher füllten letzten Freitag den Saal des Tagungszentrums Milchwerk in Radolfzell.
Dennoch war das Gros der Gäste nicht nur auf den hohen Besuch aus der Landeshauptstadt neugierig: An den vier Veranstaltungstagen verzeichneten die insgesamt 46 Vorträge und Workshops einen so hohen Andrang wie nie zuvor in der Geschichte der Naturschutztage, die in diesem Jahr zum 36. Mal stattfanden. Die nächsten Naturschutztage werden übrigens vom 3. bis zum 6. Januar 2013 wiederum in Radolfzell organisiert.
Fast 40 Prozent Öko-Strom bis 2020
Im Jahr 2020 soll weit mehr als ein Drittel des Strombedarfs in Baden-Württemberg regenerativ gewonnen werden. Das kündigte Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) an. Dabei berief er sich auf eine Studie des Zentrums für Sonnenenergie und Wasserstoffforschung (ZSW) Baden-Württemberg. “In weniger als einem Jahrzehnt produzieren wir rund 38 Prozent unseres Stroms mit Hilfe erneuerbarer Energiequellen”, sagte Untersteller. Größte Potenziale lägen bei Wind- und Sonnenkraft, während Wasserkraft und Biomasse eher Grenzen gesetzt seien. Flexible Erdgaskraftwerke sollen eine wichtige Rolle als Reservelieferant spielen. Atomkraftwerke würden 2020 noch rund 17 Prozent des Strombedarfs decken. Untersteller will die Mittel für die Energiewende von gut 9,5 Millionen Euro im Haushaltsjahr 2011 auf über 20 Millionen Euro im Jahr 2012 mehr als verdoppeln (SWR).
Hans-Helmut Klepser erhielt Gerhard-Thielcke-Preis
„Er ist ein Held der Gewässerökologie“, sagte BUND-Landesvorsitzende Dr. Brigitte Dahlbender in ihrer Laudatio auf Hans-Helmut Klepser, der während der Naturschutztage den Gerhard-Thielcke-Preis erhielt. „Für eingefleischte Naturschützer, die gegen die Kanalisierung unserer Flüsse kämpfen, ist seine Arbeit Balsam für die Seele“.
Die ersten fachlichen Erfolge konnte Klepser in den 1980er Jahren verzeichnen: Seinem Engagement ist es zu verdanken, dass es auf den Wiesen der Hochwasserdeiche an der Iller heute noch Orchideenbestände gibt. Damals war Dr. Klepser bei der Tübinger Bezirksstelle für Naturschutz und Landschaftspflege tätig. Mitte der 1990er Jahre wechselte er von der Naturschutz- in die Gewässerschutzbehörde. Dort förderte er die Entwicklung und Umsetzung des Integrierten Donauprogramms. Die Donau hat sehr von seinem Wirken profitiert: Am Blochinger Sandwinkel sowie im Bereich zwischen Hundersingen und Binzwangen konnten große Renaturierungsprojekte erfolgreich durchgeführt werden. Seit einigen Jahren ist Dr. Hans-Helmut Klepser als Gewässerökologe beim Regierungspräsidium Tübingen auch für den Neckar und seine Nebenflüsse zuständig. Dort hat er in bereits über zehn Fällen Fischwanderhindernisse beseitigt.
Das Ländle muss Vorreiterrolle in der Umweltpolitik annehmen
„Baden-Württemberg muss in der Umweltpolitik eine Vorreiterrolle einnehmen“, sagten die Landesvorsitzenden von BUND und NABU, Dr. Brigitte Dahlbender und Dr. Andre Baumann. „Wenn das Land weiterhin für sich beansprucht, einer der wichtigen Innovationsstandorte in Deutschland und Europa zu sein, muss es sich den Herausforderungen der Zukunft stellen und dies auf gesetzlicher Ebene verbindlich verankern.“ Besonders wichtig sei in diesem Zusammenhang, dass im angekündigten Klimaschutzgesetz des Landes konkrete Klimaschutzziele festgelegt und die entsprechenden Regelungen, die derzeit in mehreren anderen Gesetzen und Verordnungen geregelt sind, zusammengefasst werden. „Entscheidend ist, dass die Landesregierung Zwischenziele für das Klimaschutzgesetz benennt und in regelmäßigen Berichten eine Erfolgskontrolle zur Umsetzung vorlegt. Nur auf diese Weise ist es möglich zu überprüfen, ob die festgelegten Maßnahmen auch wirklich greifen oder ob gegengesteuert werden muss“, so Brigitte Dahlbender.
Verbindlichkeit und Nachprüfbarkeit sind auch für den Erfolg der neu auszurichtenden Nachhaltigkeitsstrategie des Landes von entscheidender Bedeutung. „Wir begrüßen die Initiative der Landesregierung sehr, die Nachhaltigkeitsstrategie neu auszurichten und weiterzuentwickeln“, sagte NABU-Landeschef Baumann, „durch die klare Formulierung von Zielen und die Entwicklung aussagekräftiger Indikatoren kann die Regierung erreichen, dass die Strategie nicht nur ein Katalog frommer Wünsche bleibt. Wir brauchen eine Nachhaltigkeitsstrategie des Werktags. Denn Sonntagsreden über Nachhaltigkeit bringen uns keinen Schritt weiter.
Wirtschaft, Verbände und Politik müssen nach Ansicht Baumanns für die wichtigsten Politikfelder verbindlich vereinbaren, wie die nachhaltige Entwicklung Baden-Württembergs gestaltet wird. „Gesetz für Gesetz, Entscheidung für Entscheidung, Cent für Cent der Staatsausgaben müssen der Nachhaltigkeit verpflichtet sein – sie müssen sozial gerecht, ökonomisch tragfähig und umweltverträglich sein. Auch die Art und Weise der Beteiligung gesellschaftlicher Gruppen ist frühzeitig zu definieren. Ohne die Bürgerinnen und Bürger geht es nicht“, so Baumann.
Einer der Meilensteine auf dem Weg zu einem effizienteren Klimaschutz und der Erhaltung der Biodiversität ist die Gestaltung der Energiewende in den kommenden Jahren. NABU und BUND empfehlen der Landesregierung, neben dem Ausbau der Windenergie auch die anderen erneuerbaren Energieträger zu fördern, indem diese bei Gebäuden eingesetzt werden, die sich im Landeseigentum befinden. „Dächer könnten für Photovoltaik-Anlagen zur Verfügung gestellt, Erdwärme für Heizung und Kühlung genutzt und landeseigene Liegenschaften energieeffizient saniert werden“, gibt Brigitte Dahlbender praktische Hinweise, „das Land der Häuslebauer muss zum Land der Häuslesanierer werden.“
Besondere Verantwortung für Klima und Natur
Flankierend zum Ausbau der Erneuerbaren Energien ist eine Investitionsstrategie für ausschließlich mit Gas befeuerte Kraftwerke (Gas-und Dampf-Kraftwerke, Heizkraftwerke, Blockheizkraftwerke) sinnvoll. Diese gut regelbaren und hocheffizienten Kraftwerke können bei Bedarf auf das fluktuierende Stromangebot der Erneuerbaren Energien reagieren und sowohl mit fossilem Erdgas als auch mit Biogas befeuert werden. Doch die Förderung erneuerbarer Energieträger allein reiche nicht aus. „Die beste Klimaschutzmaßnahme ist die Verringerung des Energieverbrauchs“, sagte Brigitte Dahlbender. Hier müsse die Landesregierung voranschreiten und über Förderprogramme die Umsetzung von Energieeffizienzmaßnahmen fördern. Erhebliche Einsparungspotenziale schlummern beispielsweise im schnellen Austausch von Stromspeicherheizungen und in der Umstellung der Straßenbeleuchtung auf LED-Technik. „Die Rechnung ist klar“, fasst Brigitte Dahlbender zusammen, „je eher und je konsequenter Landesregierung und Wirtschaft die Maßnahmen für einen effizienten Klimaschutz umsetzen, desto deutlicher wird sich dies in Bilanzen und Haushalten niederschlagen. Jeder Tag Verzögerung bedeutet vermeidbare Kosten.“
Zum Abschluss appellierten die Landesvorsitzenden von NABU und BUND an die Landesregierung, im neuen Jahr sowohl dem Klimaschutz als auch der Erhaltung der Biodiversität verstärkt Beachtung zu schenken. „Als einziges deutsches Bundesland mit einer grün-roten Regierung und als einer der bedeutendsten Standorte Europas im Bereich innovativer Technologien hat Baden-Württemberg eine besondere Verantwortung für Klima und Natur“, so Brigitte Dahlbender und Andre Baumann.
Autor: PM/hpk